Die Jüdische Gemeinde in Unna - von damals bis heute

Jüdisches Leben in Unna existierte bereits seit dem 11. Jahrhundert. Seit 1885 befand sich in Unna eine eigene Synagogengemeinde.

Im November1938 wurde – wie in ganz Deutschland - auch diese Synagoge angezündet. 1942 dann galt die Stadt als „judenfrei“. Auch die letzten Bewohner des in der Stadt ansässigen “Israelitischen Altenheims“ von Westfalen waren deportiert.

Auf Grund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gab es in Unna – und auch lange Jahre danach - kein jüdisches Leben mehr. Erst fast 70 Jahre danach erlebte die Hellwegregion wieder eine Shabbat-Feier. In den ersten Jahren nach dem Zerfall der Sowjetunion kamen sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland und schlossen sich den ehemals kleinen, überalterten jüdischen Einheitsgemeinden an.

Diese Juden wurden in ihrer Heimat diskriminiert und durften zwei Generationen lang ihre Religion und Traditionen nicht erlernen und ausüben. Auch in der Stadt und dem Kreis Unna siedelten sich wieder Juden an. Diese Region gehörte zum Einzugsgebiet der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund. Die nach Unna und Umgebung zugewanderten Menschen wandten sich an die Gemeinde in Dortmund, um am Gemeindeleben teilzunehmen, ihre jüdischen Wurzeln neu zu entdecken und in die bestehende jüdische Religionsgemeinschaft eingegliedert zu werden.

Aber die Situation eines kleinstädtisch geprägten Kreises – also einer Mittelstadt wie Unna – ist nicht zu vergleichen mit einer Großstadt wie Dortmund, wo jüdische Gemeinden und Vereine auf besser ausgebaute Strukturen zurückgreifen können.
In Erinnerung an den Holocaust verbindet jüdische Menschen ein gemeinsames Anliegen: Sie möchten jüdisches Leben in Deutschland wieder auf - und ausbauen. Es geht ihnen darum, bestehende jüdische Religionsgemeinschaften langfristig in ihrer Bestandskraft und Lebendigkeit zu stärken.

Am 13. Mai 2007 fand in dem ehemaligen „Israelitischen Altenheim“ für Westfalen – dem heutigen Altenheim St. Bonifatius, Mühlenstraße 7 – eine Vollversammlung der Juden des Kreises Unna statt.
Hier wurde beschlossen, eine liberale jüdische Gemeinde für den Kreis Unna zu gründen. Es war eine durch die Jahre entstandene, natürliche Dynamik der Selbstorganisation der Juden in einer Diasporasituation, die diesen Entschluss reifen ließ.

Wir haben uns sehr bewusst entschieden, ein Judentum zu erlernen, zu leben und zu lehren, dass die jüdische Tradition mit den Erkenntnissen und Erfahrungen der Moderne verbindet. Damit wird die durch den Holocaust unterbrochene Tradition des liberalen Judentums in Deutschland fortgesetzt.
Wir verstehen uns als Nachfolgende der jahrhundertealten jüdischen Tradition in Unna. Es ist uns Herzensanliegen und Verpflichtung zugleich, die zerstörte Kontinuität jüdischen Lebens in unserer Region wiederherzustellen.
Gegenwärtig besteht unsere Gemeinde aus 80 Mitgliedern und ist Mitglied der Union Progressiver Juden Deutschland und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Nordrhein – Westfalen.

Seit Mai 2007 engagiert sich die Jüdische Gemeinde „haKochaw“ für den Kreis Unna e.V. auch im kulturellen Leben des Kreises Unna. In den ersten Jahren nach der Gründung finanzierte sich die Gemeinde durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.

Im Jahre 2008 wurde unter Beteiligung des Landtagsabgeordneten Herrn Wolfram Kuschke, des Landrates des Kreises Unna, Herrn Michael Makiolla, sowie des Bürgermeisters der Stadt Unna, Herrn Werner Kolter, der Freundeskreis der jüdischen Gemeinde im Kreis Unna e.V. gegründet.

Seit 2010 steht der Gemeinde - dank der Unterstützung vieler Bürgerinnen und Bürger Unnas - ein angemessenes, angemietetes Gebäude zur Verfügung.


Mit dem Erwerb und feierlichen Einzug einer eigenen Sefer Thora (Thora – Rolle) im Jahre 2012 erreichten wir einen besonderen Abschnitt der Vollständigkeit: Der bisherige Betsaal im Gemeindezentrum wurde dadurch zur einer Synagoge.

Vertreter von Parteien und Schulen, Kirchen und Vereinen, der Stadt- und Kreisverwaltung, sowie vieler interessierter Bürger und offizieller Gäste nahmen und nehmen Anteil am religiösen und kulturellen Geschehen. Das zeigt, dass die jüdische Gemeinde Unna inzwischen fest verankert ist.

In Unna und Fröndenberg unterstützt die Gemeinde die örtliche Initiative „Stolpersteine“ und nimmt aktiv an Stadtveranstaltungen zur Erinnerung an Kriegsopfer und Pogromnacht – Gedenken teil. Kultur, Zivilcourage und gesellschaftliches Engagement versteht die Gemeinde als die wichtigsten Instrumente ihrer Integrationsarbeit.

Die intensive Vernetzung mit den Institutionen des Kreises Unna ist ein wichtiger Teil unserer Aktivitäten.

Seit Jahren unterstützt die Gemeinde die Aktionen des Integrationsrates der Stadt Unna durch Beteiligung an Frauenfesten, an den interkulturellen Tagen „bUNt“ in Unna und Friedensgebeten. Die Teilnahme an interreligiösen Dialogen des Kreises Unna schaffen Annäherung und gegenseitiges Verständnis – ein wesentliches Anliegen auf unserem Weg. Während dieser Zeit ist bereits eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstanden.

Mit dem offenen Zugehen auf Menschen, durch Veranstaltungen und Einladungen in unserer Synagoge, verstehen wir uns als „Brückenbauer“ zwischen Religionen und Kulturen.

Konzerte jüdischer Musik und Einblicke in jüdische Kultur bereichern die vorhandene religiöse und kulturelle Vielfalt. An dieser Stelle danken wir ausdrücklich dem Zentralrat der Juden in Deutschland für die freundliche Unterstützung.

Im Rahmen der interkulturellen Woche 2012 und in Kooperation mit dem Integrationsrat der Kreisstadt Unna, sowie dem „Stern- jüdischer kulturell-integrativer Verein e.V.“ fand eine Ausstellung des „Jüdischen Museums Westfalen“ statt. Das Thema lautete: „Angekommen?! Lebenswege jüdischer Einwanderer“ und befand sich im „Zentrum für Information und Bildung“, Unna, (kurz ZIB genannt). Diese Ausstellung besuchten auch viele Schülerinnen und Schüler.
Im Feedback wurde deutlich: Die Erfahrungen jüdischer Einwanderer, die Art und Weise jüdischen Lebens und die sich daraus ergebenden Perspektiven stellten für viele Besucher eine neue kulturelle und soziale Erfahrung dar.

Die Gemeinde nimmt aktiv teil an einigen „Interreligiösen Dialogen“:

  • Seit 2009 - Teilnahme an den Sitzungen des AKs „Interreligiöse Frauengruppe der Stadt Unna“ Treffen im Rahmen des Interreligiösen und Interkulturellen Dialogs mit den muslimischen und christlichen Frauen.
  • Seit 2011 - Teilnahme an den Sitzungen des AKs „Interreligiöser Dialog in Bönen“.
  • Seit 2011 - Teilnahme an den Sitzungen des AKs „Interreligiöse Frauengruppe des Kreises Unna“. Treffen im Rahmen des Interreligiösen und Interkulturellen Dialogs mit den muslimischen und christlichen Frauen. Folgende Projekte wurden durchgeführt:
  • 2009 „Du gehst mich an“. Ein Gemeinschaftsprojekt in Kooperation mit dem Ev. Kirchenkreis Unna
  • 2010 fand ein „Zeitzeugen – Projekt“ statt mit der Holocaust – Überlebenden Frau Kretz und den Schülern der „Hellweg – Realschule“, der „Anne – Frank – Realschule“, des „Geschwister – Scholl – Gymnasiums“ und der „Peter – Weiß – Gesamtschule“. Es wurde organisiert und durchgeführt in Kooperation mit dem „Maximilian – Kolbe – Werk“ und dem „Stern – jüdischer kulturell – integrativer Verein“.
  • 2013 das Projekt „Kavod – Respekt“ – unterstützt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ziel dieses Projektes ist die Stärkung der gegenseitigen Anerkennung, die sich in kulturellen Veranstaltungen sowie Netzwerkarbeit darstellt.

Unser wesentliches Anliegen ist eine engagierte Beteiligung an einem friedlichen Miteinander unterschiedlicher Religionen und Kulturen. Auch der Besuch in unserem Gemeindezentrum von Bürgergruppen unterschiedlichster Art trägt dazu bei und ermöglicht Einblicke in die jüdische Tradition und Kultur.

Das „Geschwister- Scholl- Gymnasium“ in Unna lud Vertreter der Gemeinde „haKochaw“ am 18. Februar 2013 zur feierlichen Verleihung des Zertifikates „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ ein. Als Schirmherrin wählten die Schülerinnen und Schüler unsere Vorsitzende Alexandra Khariakova. Die Gemeindemitglieder empfanden dies als große Anerkennung ihrer Arbeit!

Die von Januar – März 2013 erfolgreich durchgeführte „Biennale 2013 - Musik & Kultur der Synagoge“ – bestand aus mehreren gemeinsamen Veranstaltungen unserer Gemeinde in Kooperation mit dem Ev. Forum Westfalen, Bochum, dem Evangelischen Kirchenkreis Unna und der VHS Selm. Hierbei wurde deutlich, welch großer Bedarf und reges Interesse an diesem Themenbereich besteht.

Wir erachten es als wichtig, den Blick auf Leben und Kultur der Juden nicht nur auf die tragische Holocaust - Vergangenheit zu begrenzen, sondern den Menschen die vergangenen und gegenwärtigen Schätze jüdischer Musik und Kultur zugänglich zu machen. Hierbei gilt es, gemeinsame ethische Werte neu zu entdecken.

Dazu gehört ohne Zweifel auch das Integrationspotential und die Kultur der russischsprechenden Juden aus der ehem. Sowjetunion, die in Deutschland die Mehrheit der jüdischen Gemeinden darstellen. Wir sind davon überzeugt, dass die Dialogbereitschaft zwischen den Weltreligionen und unterschiedlichen Kulturen eine dringliche Zukunftsaufgabe ist.

Gisela Habekost